Strand Ruegen

Ein Neubeginn am Sehnsuchtsort – Im Gespräch mit Sabine Korneli

April 2017

Liebe Sabine Korneli,

wir hatten im vorletzten Interview die Leiterin der Freien Kunstakademie Hamburg im Gespräch. Für Birgit Strohscher war die Gründung der Akademie vor vier Jahren ein beruflicher Neuanfang. Auch Sie haben Ihr Leben vor 2 Jahren verändert. Zusammen mit Ihrem Mann, dem Bildhauer Thomas K. Müller, haben Sie 2014 dem pulsierenden Berlin den Rücken gekehrt und auf der Insel Rügen einen Bauernhof gekauft und mit viel Liebe renoviert.

Wie kam es zu dieser Entscheidung? Gab es einen entscheidenden Impuls?

Als die Kinder aus dem Haus waren, haben wir uns gefragt, ob wir nicht Lust haben, noch einmal etwas ganz Neues anzufangen – und wir hatten Lust. Danach ging eigentlich alles ganz schnell. Wir haben überlegt, wie und wo wir leben wollen.

Mein Motto war schon lange „Wenn man aus Berlin wegzieht, geht eigentlich nur aufs Land oder nach New York“. Das meint, es muss eine wirkliche Veränderung sein, nicht so ein bisschen Landleben im Speckgürtel von Berlin. Und für New York muss man glaube ich etwas jünger sein.

Gibt es eine persönliche Bindung zu Rügen?

Ja, Rügen ist seit unserer Kindheit ein Sehnsuchtsort. Wir haben beide als Kinder fast jedes Jahr hier Urlaub gemacht. Das tolle an Rügen ist, neben vielem anderem, dass es hier ländliche funktionierende Dorfstrukturen gibt, die ein Landleben neben den reinen Badeorten ermöglichen.
Hier lebt man auf dem Land und trotzdem am Meer. Weite Felder, hohe Buchenwälder, Die Ostsee und alles in wenigen Minuten vom Haus. Hier kann man Schafe und Hühner halten und trotzdem Gäste beherbergen, die ihren jährlichen Ostseeurlaub, oder einen Kurztrip bei uns verbringen.

Strand Ruegen

Dieses Jahr veranstalten Sie die erste Sommerakademie für Kunst Rügen. Wann und wodurch kamen Sie auf die Idee, die Sommerakademie ins Leben zu rufen ?

Der Plan zur Sommerakademie ergibt sich fast zwangsläufig aus unseren Berufen. Mein Mann der Bildhauer Thomas K. Müller hat neben seiner künstlerischen Tätigkeit oft unterrichtet, z.B. auch an der Kunsthochschule Berlin-Weissensee, wo er auch studiert hat, aber auch an Sommerakademien, z. B. in Bremen.

Ich habe Theaterwissenschaften studiert und war über 20 Jahre Inhaberin einer Agentur für Kulturmarketing in Berlin. Da lag ein solches Projekt einfach in der Luft.

Wir haben bewusst die Form der Sommerakademie gewählt, da wir den Anspruch haben, über den einfachen Kunstkurs hinaus eine intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Kunstwerk zu ermöglichen. Darüber hinaus war war es uns wichtig, eine campusartige Atmosphäre für Kreative zu schaffen, welche Kontakt und Inspiration über das eigene Schaffen hinaus erzeugt.

Die Zahl der Sommerakademien wächst. Was ist das Besondere an Ihrem Angebot?

Das ist die Insel Rügen mit ihrer einzigartigen Natur. Wir haben hier eine Landschaft, die nicht nur Caspar-David-Friedrich und Carl-Gustav-Carus sondern auch Künstler wie den Bildhauer Wieland Förster und den Fotografen Volkmar Herre, den Zeichner Lyonel Feininger oder Theodor Fontane inspiriert hat, der seine Effi Briest sagen lässt: „Sassnitz sehen und sterben“.

Die Auseinandersetzung mit der Landschaft aber auch mit den Menschen hier auf Rügen z.B. im Kurs Kreatives Schreiben, ist ein wichtiger Teil des Konzeptes unserer Sommerakademie.

Natürlich wird ein Teil der Arbeiten auch in Ateliers stattfinden, aber für die Zeichner, die Maler und auch den Fotokurs wird die Rügener Landschaft zum Motiv und zur Inspirationsquelle zugleich werden. Der Grafikkurs wird neben klassischen Drucktechniken auch Strukturen und Fundstücke, die die Teilnehmer hier am Strand oder im Wald finden, in die Arbeit einbeziehen.

Nach welchen Kriterien haben Sie das Programm zusammengestellt?

Thomas K. Müller

Die Kurse der Sommerakademie bilden ein breites Spektrum der klassischen Disziplinen Bildender Kunst ab, von Bildhauerei, über Malen, Zeichnen, Grafik, Fotografie bis hin zur Aufbaukeramik. Dass wir auch Kreatives Schreiben anbieten, fällt auf den ersten Blick etwas heraus. Diese Entscheidung ist durch einem Studienaufenthalt von Thomas K. Müller im Haus Lucas in Ahrenshoop beeinflusst, wo Maler, Bildhauer und Autoren sich gegenseitig inspiriert und eine sehr gelungene Gemeinschaft gebildet haben.

Bei der Auswahl der Dozenten waren uns natürlich ihre Qualifikation in der Kunst und der Lehre wichtig. Allerdings war es uns genauso wichtig, Dozenten zu finden, die von hier kommen oder eng mit der Insel verbunden sind. So sind wir sehr froh, die Grafikerin Antje Bartel, die hier in der Nähe geboren ist und hier auch wieder wohnt, gewonnen zu haben. Auch die Leiterin des Keramikkurses Claudia Hilliges lebt seit vielen Jahren auf Rügen und ist unsere Nachbarin.

Mein Mann Thomas K. Müller leitet den Bildhauerkurs. Die Leiterin des Fotokurses Jana Mänz besucht seit Jahren mit Kursteilnehmern die Insel und Annette Gundermann, die den Malkurs leitet, sowie Dirk Richter, Dozent für Zeichnen, fühlen sich der Natur der Insel sehr verbunden.

Der Zeichenkurs wird sich allerdings neben dem Naturstudium auch dem Aktzeichnen widmen, wofür ein Modell engagiert wird.

Die Sommerakademie findet im Spätsommer Mitte September statt. Welches Klima darf man in der Zeit auf Rügen erwarten?

Das Wetter im September auf der Insel Rügen ist ein weiter Grund die Sommerakademie zu besuchen.

Auf Rügen sagt man, „was wir im Frühjahr zu spät haben (hier beginnt der Frühling oft erst im Mai) das gibt uns der Herbst zurück“. Die klare Luft, die Farben der reifen Natur und oft noch sommerliche Temperaturen, die zum Baden im Meer einladen, machen den September zum fast schönsten Monat auf der Insel.

War die Kursdauer in der Planungsphase ein Diskussionspunkt?

In der Tat haben wir gerade darüber sehr lange nachgedacht und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass für eine wirkliche Auseinandersetzung mit einem eigenen Kunstwerk, neben dem Erlernen oder Weiterentwickeln der verschiedenen künstlerischen Techniken, eine Woche, wie oft bei Kunstkursen angeboten, zu wenig Zeit ist. Wir haben uns daher im Sinne eines wirklich befriedigenden Ergebnisses für die Teilnehmer für die Dauer von 10 Tagen entschieden. Wir sind uns darüber im Klaren, dass nicht jeder Interessierte die Möglichkeit hat, so viel Zeit und natürlich auch Geld zu investieren.

Aber unsere Idee ist es, hier ein kulturelles Paket zu packen, welches einen Kurs mit hohem künstlerischen Anspruch, ein kulturelles Abendprogramm von Lesung über Musik bis zum Kunstfilm und ein Naturerlebnis feinster Güte: nämlich das Weltnaturerbe Königsstuhl beinhaltet – und so ein Gesamterlebnis zu schaffen, was sie lange nicht vergessen werden.

Zu unserem Rahmenprogramm: es finden an fast jedem Abend Veranstaltungen statt. So konnten wir den Liedermacher Hans-Eckard-Wenzel gewinnen, der hier singen wird. Dr. Christian Scholl von der Universität Göttingen spricht über die neuste Caspar-David-Friedrich Forschung, der Maler und Schriftsteller Matthias Wegehaupt liest aus seinem autobiografischen Roman „Die Insel“. Ein Abend mit Klassischer Musik, ein Filmabend und eine geführte Wanderung mit dem Ranger im Nationalpark runden das Programm ab.

In welchen Räumlichkeiten finden die Workshops statt?

Die meisten Kurse finden hier auf dem Hof Uhleck statt. Hier haben wir zwei Ateliers und einen Raum für die Fotografen. Die Bildhauerarbeiten werden klassisch im Freien entstehen und nur einen Regenschutz haben. Die Keramikwerkstatt ist gegenüber und für die Grafiker haben wir einen schönen Raum hier im Dorf in ca. 100m Entfernung vom Hof gefunden. Viele Aktivitäten finden auch wie bereits erwähnt in der freien Natur statt

Was waren die größten Herausforderungen in ihrem Gesamtprojekt „Rügen“? Gibt es eine Anekdote zu erzählen?

Ja, während des Baus, den wir ziemlich schnell bewältigen mussten, da wir bereits hier auf dem Hof im Wohnwagen wohnten, gab es eine Situation, die mich sehr beeindruckt hat. Hier auf Rügen sind Handwerker zur Zeit ziemliche Mangelware. Also haben wir viele Handwerker aus Berlin mitgebracht. Während des Abrisses der Dächer hat uns eine der Mannschaften abgesagt. Wir waren ziemlich frustriert und haben unsere Misere abends in der Kneipe erzählt. Am nächsten morgen standen 6 junge Männer bei uns auf dem Hof und sagten „wir haben gehört, Sie brauchen Hilfe, wo sollen wir anfangen?“

Das war der Anfang einer ziemlich guten Nachbarschaft von der natürlich auch die Sommerakademie profitiert. Angefangen von den Räumen über Helfer bis hin zur gemeinsamen Gestaltung des Rahmenprogramms mit der Gemeinde Lohme, ist die Sommerakademie ein Projekt, das hier in der Gemeinde verankert ist, begrüßt und unterstützt wird. So werden nicht nur die Kursteilnehmer und Dozenten sondern auch Dorfbewohner und Rügener von weiter her hier 10 wunderbare Tage gemeinsam erleben.

Was ist ihr ganz persönliches Lebensmotto?

Schuhe über den Fluss werfen, dann muss man in jedem Falle hinterher.

Was bedeutet Kunst Ihnen persönlich?

Kunst und Literatur ist für uns beide ein wichtiger Lebensinhalt und Motor. Ein Leben ohne Kunst wäre sehr viel ärmer, ja undenkbar.

Vermissen Sie manchmal das kulturelle Angebot der Großstadt?

Ja, natürlich wissen wir, dass wir mit unserem Weggang aus Berlin auch auf eine große kulturelle Vielfalt verzichten müssen. Aber erstens ist Berlin nur knapp drei Fahrstunden von hier entfernt und dann wird das kulturelle Angebot gerade auf Rügen auch oft unterschätzt. Wenn im Theater Puttbus „Der Untergeher“ von Thomas Bernhard gegeben wird, Günther „Baby“ Sommer der begnadete Percussionist hier in einer Kirche spielt oder die New Yorker Autorin Deborah Feldmann in „Dahlmanns Bazar“ einer Buchhandlung in Sassnitz liest, dann geht man eben auch hin.

Worauf sind Sie besonders stolz?

Dass wir hier mit der Sommerakademie ein integratives Projekt starten, was von unserm Nachbarn, dessen Familie hier seit vielen Generationen als Bauern lebt, genauso akzeptiert und begrüßt wird, wie von unserem Bürgermeister, der Tourismus GmbH oder der Kulturstiftung Rügen.

Es ist uns hier etwas gelungen, was ich zwar erhofft, aber nicht wirklich erwartet habe. Wir bringen hier schon jetzt in der Vorbereitung Menschen unter dem Dach der Kultur zusammen, die sich wahrscheinlich sonst nie getroffen hätten.

Das macht uns wirklich sehr stolz.

Vielen Dank, für das Interview!

Zum Profil der Sommerakademie für Kunst Rügen

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