Liebe Eva Jürgensen, Sie sind Malbegleiterin für Ausdrucksmalen. Was genau ist Ausdrucksmalen?

Ausdrucksmalen ist Malen ohne Absicht und ohne Thema. Die Teilnehmer brauchen keinerlei Vorkenntnisse. Sie lassen sich von den leuchtenden Guachefarben inspirieren. Es kann mit den Händen, mit Pinseln, mit Schwämmen oder Spachteln an großen Malwänden gearbeitet werden. Dabei lassen sich die Teilnehmer von ihrer Freude, Intuition und Leidenschaft leiten. Es entsteht ein Prozess, der vom Groben unter ständiger Veränderung und Überarbeitung schließlich zum Feinen, Detailreichen übergeht. Dieser Prozess ist nicht vorhersehbar und ist oftmals überraschend. Es kann sein, dass die Teilnehmer neue Seiten an sich entdecken oder ungeahnte Möglichkeiten sichtbar werden.

AusdrucksmalenWelche Rolle übernimmt die Malbegleiterin?

Die Malbegleiterin beobachtet und unterstützt die Teilnehmer, ohne sie zu bewerten.

Sie nimmt Impulse oder auch Hemmnisse wahr und unterstützt die Malenden, eigenen Impulsen zu trauen, ohne sich selbst zu bewerten oder unter Druck zu setzen. Sie ermutigt, auch mal etwas zu wagen und den ganz eigenen Weg zu finden.

Ist dafür eine besondere Ausbildung erforderlich?

Ja. Es gibt verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten, meist nebenberuflich. Ich habe eine dreijährige berufsbegleitende Ausbildung beim Institut farbensatt absolviert.

Dabei flossen maßgeblich Theorien des Begründers des Ausdrucksmalens, Arno Stern, in die Ausbildung mit ein.

Wie unterscheidet sich die Rolle einer Malbegleiterin für Ausdrucksmalen von denen einer zertifizierten Kunsttherapeutin?

AusdrucksmalenAusdrucksmalen ist ganz sicher ein Graubereich in der Abgrenzung zur Kunsttherapie. Denn es gibt ja deutliche Anteile der Selbsterfahrung beim Ausdrucksmalen. Der große Unterschied liegt in der Zielsetzung. In der Kunsttherapie gibt es ein therapeutisches Ziel. Die Teilnehmer sollen zum Beispiel etwas verarbeiten oder lockerer werden oder mehr aus sich herauskommen. Beim Ausdrucksmalen gibt es kein von außen gesetztes Ziel. Und keine Bewertung. Auch keine Analyse.

Es gibt die verbreitete Annahme, dass z.B. ein Baum, der ohne Wurzeln gemalt wird, darauf hinweist, dass eine Person möglicherweise zu wenig Halt im Leben hat. So etwas gibt es beim Ausdrucksmalen nicht. Es kommt einzig und allein darauf an, was der oder die Malende selbst sieht und empfindet und was er bzw. sie in ihrem Bild stehen lassen oder verändern möchte. Beim Ausdrucksmalen wird ein absolut geschützter Raum zur Verfügung gestellt in dem jeder sich so ausdrücken darf, wie er bzw. sie möchte, ganz und gar ohne Bewertung. Das ist etwas sehr Ungewohntes, da wir ja durch unsere Gesellschaftsform und unser Bildungssystem sehr ergebnisorientiert geprägt sind.

Wer kommt mehrheitlich zu Ihnen: Menschen mit oder ohne Malerfahrung?

Das ist ganz unterschiedlich.

Ist es für Menschen mit Malerfahrung, die gewohnt sind, ergebnisorientiert zu arbeiten, mitunter schwierig auf die prozessorientierte Ausdrucksmalerei umzusteigen?

Das ist auch ganz unterschiedlich. Es kommt wirklich sehr auf die Persönlichkeit an.

Es gibt Menschen, die haben sofort Zugang zur Ausdrucksmalerei und andere, die brauchen länger, um sich darauf einzustellen. Mit den Vorkenntnissen hat das, meiner Erfahrung nach, wenig zu tun.

AusdrucksmalenWie sind Sie selbst zum Ausdrucksmalen gekommen?

Ich habe viele Jahre als Krankenschwester und Lehrerin für Pflegeberufe im In- und Ausland gearbeitet und später auch als Mitarbeiterin im sozialpädagogischen- und Behindertenbereich.

Obwohl ich schon als Kind gern gemalt habe, traute ich mich erst 2006, diese Fähigkeit mit Hingabe und viel Freude zu intensivieren. Die Technik gelang mir ganz gut, aber der eigene Ausdruck hat mir gefehlt. Daraufhin habe ich mich zu einem Wochenendseminar Ausdrucksmalerei angemeldet. Das Ausdrucksmalen hat mich dabei so sehr fasziniert, dass ich dann die berufsbegleitende Ausbildung absolviert habe.

Sie sind nicht nur als Ausdrucksmalerin und Malbegleiterin für Ausdrucksmalen unterwegs, sondern Sie arbeiten selbst auch künstlerisch. Ist es zuweilen schwierig, diesen Hintergrund in der Arbeit als Malbegleiterin auszublenden?

Für mich ist das nicht schwierig. Es ist ja etwas ganz anderes, ob ich jetzt z.B. eine Vase malen möchte oder mich meinen Impulsen hingebe.

Verfolgen Sie aktuell ein besonderes künstlerisches Projekt?

Ja. Ich habe ein Kunststudium in einer privaten Kunstakademie begonnen. Dabei geht es natürlich überwiegend um Technik. Ich möchte Ausdruck und Technik in meiner Malerei verbinden.

Wie schätzen Sie den „Markt“ der Ausdrucksmalerei ein? Liegt das Thema im Trend?

Einen besonders großen Markt gibt es nicht. Für viele Menschen ist das Thema der Ausdrucksmalerei immer noch sehr befremdlich. Ganz ohne Ergebnisorientierung und nur zum Spaß mit Farbe arbeiten? Das kann ich ja auch alleine, denken sich viele. Die Erfahrung zeigt aber, dass die Gruppendynamik, die ganz besondere Atmosphäre im Atelier und die Unterstützung durch eine erfahrene Malbegleiterin den Prozess erst richtig in Gang bringen.

Was treibt Sie an? Was macht Sie glücklich?

Es macht mich immer wieder glücklich, die Malprozesse mitzuerleben. Das besondere Vertrauen, das mir entgegen gebracht wird. Ich erlebe die Malenden auf eine ganz besondere Weise, es entsteht ein intensiver Kontakt über die Bilder, die sich im „normalen“ Leben so nicht ergeben. Das ist faszinierend, spannend, macht mich sehr glücklich und ist sehr erfüllend.

Vielen Dank für das Interview!

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