INTERVIEW | INSPIRATION
Form finden im groben Schnitt – Holzbildhauer Otto Beer im Interview
Ein Gespräch über Holz, Haltung und die Kraft der Kettensäge
Lesezeit: 7 Minuten
kukundo: Warum Holzbildhauerei? Hast du schon immer nur mit Holz gearbeitet oder kam das erst später?
Otto Beer: Ich bin Architekt von Beruf und habe schon immer gern gezeichnet und gemalt – das war immer mein Thema. Zur Bildhauerei bin ich eher durch Zufall gekommen. In der Architektur arbeitet man ja auch plastisch, mit Raum und Volumen. Aber irgendwann bestand mein Arbeitsalltag nur noch aus Managementaufgaben, und der kreative Teil kam viel zu kurz.
Dann habe ich mal auf meinem Grundstück einen Baum gefällt – und beim Arbeiten mit der Säge habe ich gemerkt: Da steckt was drin. Ich habe einfach weitergemacht, herumprobiert – und so kam ich zur bildhauerischen Arbeit mit der Kettensäge. Das hat mich sofort gepackt und seitdem nicht mehr losgelassen.
Was mich daran besonders fasziniert, ist das unmittelbare, schnelle Arbeiten. Das passt zu meinem Naturell und ist wie die Skizze in der Architektur. Deshalb bin ich letztlich auch bei der Kettensäge geblieben.
kukundo: Wie gehst du technisch an deine Skulpturen heran? Trotz Kettensäge sind deine Arbeiten erstaunlich filigran!
Otto Beer: Bei meinen Skulpturen geht es mir vor allem darum, ihnen eine Haltung zu geben – einen Charakter, einen Ausdruck. Ich arbeite eher grob, aber das heißt nicht, dass es beliebig wird. Im Gegenteil: Die Kettensäge zwingt zur Reduktion und Klarheit.
Man könnte mit Schleifpapier oder kleineren Werkzeugen noch mehr ins Detail gehen – Augenbrauen, Wimpern und so weiter –, aber das ist nicht mein Ansatz. Auch meine kleinste Säge ist noch recht groß, aber sie hat vorne ein Schwert, das spitz zuläuft. Damit lassen sich feinere Konturen herausarbeiten. Trotzdem bleibt es eine grobe, kraftvolle Technik, die mir liegt.


kukundo: Mit welchen Hölzern arbeitest du am liebsten?
Otto Beer:
Ich verarbeite eigentlich alles, was mir unter die Finger kommt. Besonders gern arbeite ich mit Eiche oder Akazie – das sind Hölzer, die sehr witterungsbeständig sind. Für draußen ist das natürlich ideal. Außerdem sind das Laubhölzer, die sich besser bearbeiten lassen als Nadelholz. Nadelholz neigt dazu, zu splittern, die Oberfläche wird oft nicht so schön. Laubhölzer sind kurzspaniger – dadurch wird die Oberfläche glatter und die Form klarer. Aber jedes Holz hat seine Besonderheiten, seine Haptik, Maserung, Färbung und nicht zuletzt seinen eigenen Geruch bei der Bearbeitung.
kukundo: Du gibst im Rahmen der Kultgenuss-Reihe Kurse. Wie laufen die ab?
Otto Beer: Meine Kurse gebe ich seit etwa 2020 – Regine Weimar vom KULTGENUSS hat mich damals überredet. Ich wurde bei Ausstellungen oft gefragt, ob ich auch unterrichte. Anfangs war ich zurückhaltend, aber dann kamen fünf Teilnehmer – lauter routinierte Holzarbeiter, die mal etwas Künstlerisches ausprobieren wollten. Die fanden meine Arbeiten spannend und wollten das selbst mal versuchen. Das waren alles echte „Waldmenschen“ mit viel praktischer Erfahrung im Umgang mit der Kettensäge, die neugierig waren, sich auch einmal künstlerisch auszudrücken.
kukundo: Ist Erfahrung im Umgang mit der Kettensäge Voraussetzung für den Workshop?
Otto Beer: Ja, unbedingt – die Teilnehmer müssen mit der Kettensäge vertraut sein! Alle Teilnehmer bringen ihre eigene Schutzkleidung mit – Schutzhelm mit Visier, Sicherheitsschuhe, Gehörschutz – und in der Regel auch ihre eigene Kettensäge. Es ist Voraussetzung, dass sie mit der Technik vertraut sind. Das künstlerische Arbeiten ist dann der nächste Schritt. Die Energie, mit der alle bei der Sache sind, ist beeindruckend.
kukundo: Zurück zum Ablauf…
Die Kurse gehen über ein Wochenende, von Freitagnachmittag bis Sonntag. Ich gebe vorab ein grobes Thema vor, wie zum Beispiel „Bewegung“. Einige Wochen vor dem Kurs biete ich einen Termin in meiner Werkstatt an, für die, die sich noch inspirieren lassen wollen oder Holz brauchen. Viele beschäftigen sich dann schon im Vorfeld intensiv mit dem Thema, bringen Skizzen mit oder konkrete Ideen.
kukundo: Wie startest du konkret mit den Teilnehmer*innen in das Wochenende?
Otto Beer: Direkt im Kurs geht es am Freitagnachmittag mit einem kurzen Warm-up los. Die Teilnehmer machen Skizzen oder bringen Fotos mit, an denen sie sich orientieren wollen. Dann bekommen sie von mir ein Stück Ton, mit dem sie ein Modell ihrer geplanten Skulptur anfertigen. Das machen sie total ungern, weil alle ganz heiß darauf sind, sofort zur Säge zu greifen. Aber das Tonmodell hilft enorm, sich die Form wirklich dreidimensional vorzustellen – was bei der Bildhauerei entscheidend ist.
Dann gibt es eine Übung, bei der innerhalb von 30 Minuten ein Kopf gesägt werden muss – mehr Zeit gibt’s nicht. Der Kopf ist eines der schwierigsten Motive überhaupt, weil Ausdruck und Charakter stimmen müssen. Diese Übung zwingt die Teilnehmer dazu, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren – und genau das bringt oft erstaunlich gute Ergebnisse hervor.


kukundo: Wie geht es nach dieser ersten Übung weiter?
Das Arbeiten mit der Kettensäge ist körperlich fordernd, aber man kommt schnell voran. Manche schaffen sogar mehr als eine Skulptur an einem Wochenende. Für viele, die aus der Forst- oder Gartenszene kommen, ist der Umgang mit der Säge vertraut. Aber das künstlerische Arbeiten ist doch ganz anders – da geht es um ganz andere Schnittführungen, um Ausdruck und Form.
Otto Beer: Danach richten sich die Teilnehmer ihren Arbeitsplatz ein – möglichst im Schatten, weil die Kurse meist im Sommer draußen stattfinden. Ich bringe Bretter oder Böcke mit, auf denen die mitgebrachten Baumstämme befestigt werden können. Dann geht’s los mit den ersten Schnitten an der Skulptur.

kukundo: Was machst du, wenn bei der Arbeit etwas schiefgeht? Gehört das dazu?
Otto Beer: Na klar. Es passiert immer wieder, dass z.B. ein Arm abbricht oder etwas umfällt. Aber oft entstehen daraus neue, kreative Lösungen. Eine meiner Figuren hatte nach einem Missgeschick plötzlich lange Beine und einen kurzen Rumpf – das gab ihr eine ganz neue Dynamik. Diese Skulptur war später extrem beliebt.
Ich arbeite bewusst nicht anatomisch korrekt. Proportionen dürfen überzeichnet sein, das bringt Charakter rein. Und manchmal setzen wir auch Farbe ein, um bestimmte Elemente hervorzuheben. Bei einer Giraffe etwa haben wir mit der Farbe – in diesem Fall Pink! – den Ausdruck verstärkt. Das gibt der Skulptur oft den letzten Schliff.


kukundo: Und gab es auch schon echte Unfälle?
Otto Beer: Ich selbst hatte zum Glück noch keinen – und das soll auch so bleiben. Kleinere Blessuren passieren mal, klar, aber nichts Ernstes. Wichtig ist, dass die Teilnehmer sorgfältig arbeiten und ihre Ausrüstung vollständig ist. Die meisten bringen Berufserfahrung im Umgang mit der Säge mit. Trotzdem achte ich sehr darauf, dass niemand leichtsinnig wird.
kukundo: Wie ist die Atmosphäre während des Wochenendes?
Otto Beer: Wir arbeiten im Garten der Einrichtung, in der auch gegessen und übernachtet wird. Wenn das Wetter schlecht ist, gehen wir nach drinnen. Gearbeitet wird aber immer im Freien. Wir verbringen das gesamte Wochenende gemeinsam. Das macht einen großen Teil der besonderen Atmosphäre aus. Und die Verpflegung ist auch top.

Auch wenn mal jemand mit einem stressigen Freitag startet, löst sich das immer im kreativen Arbeiten auf. Da dieses die volle Aufmerksamkeit beansprucht ist alles Andere schnell ausgeblendet. Spätestens am Samstag ist jeder mittendrin. Am Ende des Wochenendes sind alle erschöpft – aber glücklich. Es ist immer wieder schön zu erleben, wie viel in so kurzer Zeit entsteht – und wie die Teilnehmer mit einem stolzen Lächeln nach Hause gehen. Da ich immer versuche die Kursteilnehmer in Ihrem eigenen Stil zu unterstützen, entstehen oft Arbeiten, die ich so nie gemacht hätte, die aber einen starken Ausdruck haben und so auch für mich eine Quelle der Inspiration sind.
kukundo: Vielen Dank für das Gespräch!
Otto Beer lebt und arbeitet im baden-württembergischen Murr bei Ludwigsburg. Nach vielen Jahren als Architekt hat er die Holzbildhauerei zu seinem künstlerischen Schwerpunkt gemacht. Was als kreativer Ausgleich begann, ist heute seine große Leidenschaft. Die Kettensäge ist sein bevorzugtes Werkzeug – spontan, direkt und körperlich. Seit 2020 gibt er im Rahmen von KULTGENUSS Kurse und begleitet Teilnehmende mit feinem Gespür für Form, Haltung und Ausdruck. otto-beer.de