Inspiration Malreise
Julia Asfour: Auf den Spuren der Seerosen von Claude Monet
© Foto Vera Rentschler
Dieser Text handelt von zweierlei Seerosen: die gemalten von Claude Monet und die echten Wasserpflanzen in seinem Garten in Giverny. Lass dich zu meinen Lieblingsorten mitnehmen: Giverny, Paris und Weinheim.
Giverny: der Beginn einer großen Liebe
Wenn es Sommer ist und ich in Paris bin, zieht es mich stets nach Giverny. Das erste Mal war ich schon als Jugendliche zusammen mit meiner Mutter dort. Damals herrschte eine ungnädige Hitze, die Luft stand und die vielen Besucher drängelten sich auf den schmalen Pfaden. Unsere Erschöpfung war groß – zur Abkühlung sind wir kurzerhand in den nahegelegenen Bach gesprungen, der außerhalb des Gartens ganz unbemerkt vor sich hinplätscherte. Wie erfrischend und welch ein unvergessliches Erlebnis!
Die nächste Begegnung mit Giverny hatte ich während meiner Studienzeit. Ich war für ein Jahr zum Austausch in der Beaux Arts in Paris und habe von dort meine alte Liebe wieder aufgesucht – im Sommer zur Seerosenblüte! Das ist für mich die schönste Zeit.
Auch wenn über die Jahre mit der wachsenden Bekanntheit im asiatischen Raum (es gibt inzwischen einen zweiten Monet-Garten in Japan) die Besucherströme noch weiter angestiegen sind, ist dieser magische Ort unbedingt eine Reise wert.
© Foto Julia Asfour
© Foto Julia Asfour
Aktzeichnen in der Académie de la Grande Chaumière – eine szenischer Einblick
Die Anreise nach Giverny erfolgt in der Regel über Paris. Dort führt mein erster Weg in das Künstleratelier la Grande Chaumière in der Nähe des Montparnasse:
Der Eingang ist unscheinbar, die Räume sind hoch mit großen Fenstern und die Sitzplätze arrangieren sich so wie in einem Theater um einen Mittelpunkt. Hier riecht es nach altem Gemäuer und auch die Zeit scheint hier stehen geblieben zu sein. Giaccometti, Leger, Chagall, Modigliani, Miró u.v.m. saßen hier auch schon auf den wackeligen Hockern und haben ihr Modell skizziert. Unseres posiert gerade auf einem stattlichen, erhöhten Podest mit Vorhängen im Hintergrund. Alle beginnen zu zeichnen: der Kopf, die Linie des Rückens, die Arme, die Ellenbogen und dann die Hände…oh, so viele Finger! – und wie sie sich krümmen und plötzlich hören wir ein energisches „Changez!“ durch den Raum hallen. Langsam bewegt sich die Silhouette aus meinen gerade gezeichneten Linien heraus hin zu einer neuen Pose. „Macht nichts, dann zeichne ich eben kleiner“, denke ich mir. Ein- oder zweimal bekommen wir 15 Minuten Zeit – die Chance für ein großes Bild. Während der Session herrscht gespannte Ruhe und auch eine stille Übereinkunft mit den Mitzeichnern: Dieses Modell ist einzigartig gut! Nach zwei Stunden sind die Finger schwarz und der Magen leer und wir gehen nach draußen, wo uns langsam der Lärm der Straße wieder in die Gegenwart zurückholt.
Eingang der Académie la Grande Chaumière in der Rue de la Grande Chaumière, © Foto Julia Asfour
In Malerei baden – die Seerosen im Musée de l‘Orangerie
Als nächstes schwinge ich mich aufs Fahrrad und fahre hinunter und über die Seine zu den Tuilerien-Gärten. Hier trete ich in die großen ovalen Räume des Musée de l‘ Orangerie .
Weiße Himmelswölkchen spiegeln sich im Wasser und schwimmen direkt neben den Blättern. Seerosenblüten liebäugeln mit dem Himmelsblau und den zarten Wolkentupfern. Manchmal schimmert der tiefe Grund des Sees hindurch. Die Blätter der Trauerweide streifen das Wasser. – Ich bin angekommen bei Monets Seerosenbildern. Seine Originale! Viele Meter laufe ich an den bunten Farbtupfern entlang: lavendelfarbenes Wasser, zartes Grün der Weiden und frisches Rosa formieren sich zu einem großen Ganzen und ich schwimme mittendrin. Dieser große Ausdruck tiefer Liebe zu seinem Garten ist überwältigend.
„Wie abstrakt er doch hier in seinem Spätwerk geworden ist“, denke ich mir. Über 30 Jahre hat er an diesen acht Großformaten gearbeitet. Das ist eine ganze Generation!
Ich bin wieder neugierig geworden auf Giverny, den Ursprung dieser Werke. Ich möchte sehen, was gerade im Garten blüht und es mit allen Sinnen wahrnehmen.
Im Musée de l’Orangerie © Foto Julia Asfour
Monets Vermächtnis
In Giverny sind rund 20 Gärtner:innen mit der liebevollen Pflege seines blühenden Vermächtnisses beschäftigt. Ab und zu gleitet ein Kahn durch die schwimmenden Blüten und jemand fischt die verwelkten Blätter mit einem langstieligen Kescher heraus.
Claude Monet, der von 1883 bis 1926 hier lebte, verwandelte eigenhändig den ursprünglichen Obstgarten in einen Blumengarten mit wechselnder Farbigkeit. Er teilte 1893 den Bachlauf, leitete ihn durch den hinteren Teil des Gartens und erzeugte einen Teich. Die erste Faszination galt der Komposition seiner Blumen und Gewächse in unterschiedlichen Lichtstimmungen und Blütezeiten. Es ist wie eine Farbpalette, die sich von Jahreszeit zu Jahreszeit verändert. Den Neuerungen aufgeschlossen ließ er sich viele exotische Pflanzen aus aller Welt schicken, was bei seiner bäuerlichen Nachbarschaft nur Kopfschütteln erzeugte.
Impressionen aus Giverny, gemalt und in Natura © Foto Julia Asfour
Seine besondere Liebe galt Japan. Er erwarb japanische Holzdrucke, die ihm als Inspiration für den Wassergarten mit seiner japanischen Brücke dienten. Außerdem importierte er Kirschbäume, Bambus und violette Seerosen von dort. Mit dem Aufblühen seines Gartens floss die Inspiration unaufhörlich in sein Werk. 250 Seerosenbilder entstanden hier in seinem Freiluft-Atelier. Dabei wurden seine Ausschnitte kleiner und die Herangehensweise abstrakter. Der Blick wanderte zunehmend auf das Wasser, so dass ein reizvolles Wechselspiel mit Wasser und Himmel entstand. Auch auf der nahen Seine malte er bevorzugt die sanften Morgen- oder Abendstimmungen. Er baute ein Boot zum Atelier-Bateau aus, so dass er dem Wasser und der sich spiegelnden Natur nahe sein konnte und sie unmittelbar auf die Leinwand setzte.
„Vielleicht verdanke ich es den Blumen, dass ich Maler geworden bin“
Claude Monet
Von Originalen und Kopien
Die Bilder in den Wohnräumen und den Ateliers in Giverny sind natürlich Kopien. Die Originale findest du in diesen vorzüglichen Museen:
- Museé des Impressionnismes Giverny
- Museé Marmotton, Paris
- Museé d’Orsay, Paris
- Museum Barberini, Potsdam
- Museé de l’Orangerie, Paris
Eine Kopie des Gartens hingegen ist in Japan, im Dorf Kitagawa, zu finden.
Die große Liebe ganz nah
Bei uns Zuhause sind die drei Kinder nach und nach ausgezogen und so haben wir in der Coronazeit unseren Garten in Weinheim neu gestalten lassen. Eher zufällig ist auch ein Teich entstanden, erst ein kleiner Tümpel, der dann immer größer wurde. Jetzt ist es ein unübersehbarer Naturteich geworden, in dem wir im Sommer auch schwimmen werden. Nur eines fehlt noch: Das Pflanzen der Seerosensprösslinge!
Julia Asfour, Jahrgang 1964, Studium der Visuellen Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung Offenbach, Freischaffende Künstlerin und Dozentin für Kunstkurse. Julia Asfour veranstaltet Malreisen innerhalb von Deutschland und nach Giverny in Frankreich.