Stephanie Bahrke in ihrem Atelier unter der Linde
Stephanie Bahrke in ihrem Atelier unter der Linde

INTERVIEWREIHE –  PANDEMIEERFAHRUNGEN – Folge 1

Stephanie Bahrke: „2020 war mein bisher erfolgreichstes Jahr“

Die nun schon bald zwei Jahre währende Pandemie hat sich massiv auf unser aller Alltag ausgewirkt. Das öffentliche Leben wurde zeitweise ausgesetzt. Malkurse und -workshops und Ausstellungen konnten nicht stattfinden. Homeschooling und Homeoffice der Partner:innen haben das Alltagsleben z.T. stark auf die Probe gestellt.

Wir möchten mit dieser Serie unsere Kursanbieterinnen und Kursanbieter erzählen lassen, wie sie die Pandemie erlebt haben. Uns interessiert natürlich insbesondere, wie sich die Pandemie auf ihre Kunst oder ihre Malschule ausgewirkt hat. Welche Rückschläge galt es auszuhalten und welche neuen Impulse sind entstanden?

Wir starten diese Reihe mit Stephanie Bahrke. Die freischaffende Portraitmalerin lebt und arbeitet in Hamburg-Winterhude. Neben dem Malen von Auftragsportraits gibt sie ihr Wissen der Portraitmalerei in Form von Workshops weiter. Darüber hinaus arbeitet sie immer wieder interdisziplinär mit Künstlern anderer Genre zusammen. Außerdem ist sie warmherzige Gastgeberin von selbstorganisierten Salons und Kulturabenden in ihrem lichten und heimeligen Atelier unter der Linde.

2020 startet sie das Projekt „Das Multiple Lockdown-Portrait“. Darüber und anderes wollen wir uns mit ihr unterhalten.

kukundo: Liebe Stephanie, fangen wir gleich mit einer knackigen Frage an: würdest du dich als Pandemiegewinnerin oder -verliererin bezeichnen.

Stephanie Bahrke: Gewinnerin

kukundo: Hat das vielleicht etwas mit deinem Multiple Lockdown-Portrait zu tun?

Stephanie Bahrke: Ja, denn ohne die Pandemie hätte es das Projekt Multiple Lockdown-Portrait natürlich nicht gegeben. Und das Projekt hat meine Auftragssituation entscheidend verändert. Das schlug dermaßen gut ein, damit hatte ich gar nicht gerechnet. Die Presse wurde aufmerksam und ich hatte einen sehr schönen Beitrag im NDR Hamburg-Journal. Danach ging es richtig rund. Das Projekt hat mir auch darüber hinaus Aufträge beschert, 2020 wurde mein bisher erfolgreichstes Jahr!

kukundo: Glückwunsch! Wie hast du persönlich den Beginn der Pandemie erlebt?

Stephanie Bahrke: Na, wie viele, habe ich staunend die Nachrichten über den Lockdown in China gelesen, alles war noch weit weg und sehr abstrakt. Dann wurde mir schon etwas mulmig zu sehen, wie rasant sich alles entwickelte. Den ersten Lockdown habe ich aber ehrlich gesagt, hauptsächlich angenehm erlebt. Ich hatte zu tun, viele Freunde hatten Zeit und meldeten sich nach langer Zeit mal wieder. Ich fing an, täglich spazieren zu gehen. Ich genoss die Ruhe auf den Straßen, freute mich, dass plötzlich so viele Väter mit ihren Kindern im Park unterwegs waren. Ich habe das Ganze sehr ernst genommen, aber ohne mir allzu große Sorgen zu machen.

kukundo: Ab wann und in welcher Form hatte die Pandemie Auswirkungen auf deine Auftragssituation als Portraitmalerin, deine Workshops und auf deine freie Kunst?

Stephanie Bahrke: Ich hatte das große Glück, gleich zu Beginn des Jahres 2020 einen Auftrag für ein Familienportrait mit dreizehn Personen zu bekommen, der mich auch finanziell durch die ersten Monate des Jahres getragen hat. Bis zum ersten Lockdown, hatten alle Familienmitglieder Modell gesessen und im Lockdown konnte ich dann das große Bild in Ruhe mit Hilfe von Fotos vollenden. 

Deshalb, spürte ich die Auswirkungen erst im Mai 2020. Zu dem Zeitpunkt wurde eine Messe, auf der ich regelmäßig vertreten bin, abgesagt und in den digitalen Raum verlegt. Mich hat es jedoch überfordert, ein digitales Profil zu erstellen, hatte zu viele andere Dinge zu tun. Später hat es mich dann sehr geärgert, dieses Angebot der Messe nicht wahrgenommen zu haben.

Ich sah am Beispiel der Messe und anderswo, was für Ideen die Leute haben, was in dieser Not alles für großartige, kreative Dinge auf die Beine gestellt wurden. Ich fühlte mich schlecht und immer weniger kreativ. Ich hatte zwar ein paar Aufträge und sogar wieder Malkurse unter neuen Hygienebedingungen,  aber „meine Künstlerin“ verschwand in dieser Zeit etwas. Mir schien es fast, als würde ich nie wieder gute Ideen oder Inspiration bekommen.

kukundo: Das hat sich ja dann glücklicherweise wieder geändert, was uns zurück zum Multiplen-Lockdown-Portrait-Projekt führt. Worum geht es da genau?

Stephanie Bahrke: : In meinem Lockdown-Portrait-Projekt setze ich mich mit dem Wechselspiel von Individuum und Gesellschaft in dieser pandemischen Situation im positiven Sinne auseinander. In diesem einen Jahr hatte sich doch das gesamte gesellschaftliche Bild verändert. Man lernt neue Menschen kennen und sieht nie das ganze Gesicht. Ein Großteil der Persönlichkeit bleibt doch verborgen, oder? Und ist es nicht mein Job als professionelle Portraitmalerin, dem mal nachzugehen? Was bleibt vom Menschen, wenn nur noch die Augen zu sehen sind?

Aber noch ein anderer Aspekt trat daneben schnell in den Vordergrund: Wozu tragen wir denn Maske? Damals, im November ‘20, tat man es noch allein, um seine Mitmenschen zu schützen. Und das Bild, das aus vielen einzelnen Maskenträgern besteht, sollte ausdrücken, was der Einzelne für die Gesellschaft tun kann und zugleich, was die Gesellschaft für den Einzelnen tun kann. Es ist klar, dass ich da nicht die gesamte Gesellschaft abbilde und ich möchte damit nicht ausblenden, dass vieles in beide Richtungen nicht gut gelaufen ist. Aber es geht mir um diese positive Kraft, die entsteht, wenn Menschen an einem Strang ziehen und der Verantwortung ihrem Nächsten gegenüber nachkommen.

Nach Vollendung von 90 Maskenportraits habe ich grade den zweiten Teil begonnen, in welchem ich mich mit dem Aspekt der Isolation im Lockdown auseinandersetze.

kukundo: Gab es einen Schlüsselmoment, der dich auf die Idee mit dem Multiplen Lockdown-Projekt gebracht hat?

Stephanie Bahrke: Ja, den gab es. Ich saß mit meinem Partner nach einem herrlichen Tag in der Natur beim Abendessen und überlegte, was ich mit meinem, traditionell im November stattfindenden, Offenen Winteratelier im neuerlichen Lockdown machen soll. Eine träge Stimme in mir sagte, ach, ist doch egal, lass es einfach mal ausfallen.

Aber da meldete sich eine andere Stimme in mir. Das kommt gar nicht in Frage! Du beneidest alle, die so tolle Ideen haben! Aufgeben gibt es nicht! Mach irgendeine Aktion! Was denn? Du könntest Leute mit ihrer Maske zeichnen oder besser malen!

So war die Idee geboren. Es sollten 50 Maskenportraits bis Weihnachten werden, jeder konnte mitmachen und die, die das Bild gerne als Zeitdokument haben wollten, konnten es bis Weihnachten zu einem sehr vergünstigten Preis bekommen. Da ich in solch schweren Zeiten nicht nur an mich denken wollte, beschloss ich 10% des Erlöses an einen Kinder-Hospiz-Dienst, den Familienhafen Hamburg zu spenden.

Gleich am nächsten Tag habe ich mich an die Umsetzung gemacht und einen Aufruf in meinem Newsletter gestartet. Die erhofften Teilnehmer hatte ich schnell zusammen, es gab einen regelrechten Run auf dieses Projekt. Die Menschen waren ausgehungert nach Kultur, nach neuen Begegnungen, fanden das Projekt spannend und waren begeistert. Sogar Kinder aus der Nachbarschaft wollten Teil eines Kunstwerks werden.

kukundo: Gab es bei den Sitzungen besondere Situationen oder kannst du eine Anekdote erzählen?

Stephanie Bahrke: Ich würde sagen jede einzelne Sitzung war besonders. Die Modelle haben im ersten Teil ja um die zwei Stunden auf meinem Modell-Thron gesessen und im aktuellen Teil sitzen sie circa drei Stunden. In dieser Zeit ist viel Raum, um sich kennenzulernen. Ich habe so viele Lebensgeschichten kennengelernt, dass ich es fast bereue, sie nicht aufgeschrieben zu haben.

Sehr besonders ist mir ein Tag in Erinnerung, an dem vormittags eine Person hier saß, die vom schweren Schicksal ihrer Familie berichtete, die aus dem postsowjetischen Raum stammt. Die Herkunft wurde in der Familie weitgehend ignoriert und niemand wollte heute diesen Spuren nachgehen. Das gehörte der Vergangenheit an.

Am Nachmittag desselben Tages saß dann eine andere Person bei mir, die erzählte, wie ihr Vater, der im Krieg viel in Gefangenschaft war, mit seiner Familie nach Ende des Krieges per Anhalter durch Europa gefahren ist, um seiner Familie all die Orte, in denen er war, zu zeigen und damit all die schweren, aber auch die schönen Momente, die er im Krieg erlebt hatte zu teilen.

Diese unterschiedlichen Familiengeschichten so direkt nebeneinander zu hören hat mich besonders berührt.

kukundo: Wir haben uns ja auch von dir mit Maske porträtieren lassen und fanden die Zeit des Modellsitzens bei dir sehr kurzweilig und schön.

Stephanie Bahrke: Danke! Ja, dabei hatte ich auch endlich mal die Gelegenheit das andere Gesicht von Kukundo, Uwe, ganz in Ruhe kennenzulernen. Petra und ich stehen ja schon länger in gutem Kontakt.

kukundo: Haben die vielen Modellsitzungen deinen Alltag verändert?

Stephanie Bahrke: Ja, definitiv. In Zeiten, der Kontaktbeschränkungen habe ich so viele Leute, wie noch nie kennengelernt.  90 besondere Begegnungen. In der heißen Phase saßen bis zu drei Personen am Tag bei mir (natürlich mit Maske, Abstand, Lüften und ohne Getränk). Die erste kam um acht Uhr in der Frühe und der letzte um 18 Uhr am Abend. Ich hatte vorher einen eher gemütlichen Arbeitsalltag, nahm mir aber immer wieder vor, mehr zu tun. Das hat dann plötzlich mit großer Leichtigkeit geklappt. Ich hatte ja nicht nur die Modellsitzungen, danach mussten die Bilder noch vollendet werden. Haare, Maske, Kleidung, Hintergrund, dafür habe ich dann an jedem Bild noch einmal zwei bis fünf Stunden gesessen. Aber ich habe die Arbeit bei jeder Sitzung, jedem einzelnen Gesicht und jedem Maskenstoff genossen. Die Liebe, die ich zu meinem Beruf habe, wurde mir ganz neu bewusst.

kukundo: Du hattest einen tollen Beitrag im NDR der zweimal ausgestrahlt wurde. Kamen dadurch mehr Menschen auf dich zu und haben nach den Maskenporträts gefragt?

Stephanie Bahrke: Ja! Noch bevor die Sendung zu Ende war hatte ich die ersten E-Mailanfragen in meinem Posteingang. So kamen viele ganz neue Menschen zu mir und es gab nicht nur Interesse am Projekt, sondern auch Aufträge darüber hinaus. Das war wirklich ein besonderes Erlebnis.
Noch heute erzählen mir Menschen, dass sie den Beitrag damals auch gesehen haben.

kukundo: Verrätst du, wie viele der Modelle ihre Porträts auch gekauft haben?

Stephanie Bahrke: Mehr als die Hälfte.

Dreharbeiten mit dem NDR

kukundo: Wie geht es in 2022 weiter?

Stephanie Bahrke: Auch 2022 wird noch im Zeichen des Multiplen Lockdown-Portraits stehen. Im Schaffensprozess der Maskenportraits kam bei mir relativ bald kam der Wunsch auf – erstmal als diffuses Gefühl – das Ganze durch einen zweiten Teil zu komplettieren. Alle Porträtierten einfach ohne Maske nochmal zu malen war ein erster Gedanke, erschien mir aber etwas belanglos. Dann sah ich neulich an einem sonnigen Tag im Herbst von der Staffelei hoch aus meinem Fenster. Dort stand eine ältere Dame mit einem Kinderwagen und hielt ihr Gesicht in die Sonne. Mit geschlossenen Augen genoss sie die letzten warmen Sonnenstrahlen des Jahres. Das traf mich wie ein Blitz. Da wusste ich: in dem zweiten Teil portraitiere ich die Menschen ohne Maske, dafür mit geschlossenen Augen! Symbolisch für die Isolation des Einzelnen im Lockdown. Ich fragte mich, was macht es mit Menschen, wenn die Isolation kein Einzelschicksal ist, sondern wenn du es mit so vielen Menschen teilst? Mit geschlossenen Augen schaut jeder zu sich nach Innen. Es ist ein ganz intimer Moment, den man da erleben darf, wenn die Gemalten jeweils so ganz bei sich sind.

Blicken dich bei den Maskenportraits lediglich die Augen an, sieht man im zweiten Teil das ganze Gesicht „ohne“ die Augen. So wird das Gesicht in der Summe der beiden Projektphasen vollständig.

Vom Erlös des zweiten Teils spende ich übrigens wieder einen Teil. Diesmal an #coronakuenstlerhilfe und damit an Kolleg:innen, die es nicht so gut getroffen hat, wie mich.

Den zweiten Teil werde ich hoffentlich vor dem Sommer 2022 vollenden. Nun suche ich gute Ausstellungsorte für das multiple Portrait, das aus 180 Einzelbildern bestehen wird. Ich wünsche mir dieses große Zeitdokument an einem besonderen Ort zu zeigen.

Darüber hinaus möchte ich wieder mehr großformatige Bilder malen und mit meinen anderen Projekten, die schon länger in Arbeit sind, vorankommen.

kukundo: Muss man sich bis dahin gedulden oder können Interessierte die Bilder schon vorher sehen?

Stephanie Bahrke : Den ersten Teil zeige ich vom 5.-12.12 in meinem Atelier, und vom zweiten Teil kann man dann auch schon einen Eindruck bekommen.

kukundo:Hast du noch freie Plätze für die zweite Projektphase?

Stephanie Bahrke: Ja, ich freue mich noch über Menschen, die Lust haben, ein paar unterhaltsam-kontemplative Stunden bei mir zu verbringen.

Die Fragen stellte Petra Gieffers.

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2022-01-14T16:29:09+01:00Kategorien: Erfahrungsbericht, Inspiration, Interview|Tags: |
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