Das Porträt: Der Mund sagt mehr als tausend Worte

Neben den Augen gehört der Mund zu den prägnantesten Teilen des Gesichts. Und auch mit zu den schwierigsten.  In meinen Blogartikeln geht es nicht darum, ein ideales Gesicht zu zeichnen, sondern darum, reale Menschen zu porträtieren. Ich sehe es immer wieder bei Malschülern, die wissen „wie ein Mund gemalt wird“, oder Nase und Augen, dass sie das Erlernte automatisch in ihr Porträt integrieren und das Gesicht dann einen perfekten, wunderschönen Mund hat, der aber nicht viel mit dem des Porträtierten zu tun hat. Deswegen möchte ich dich anregen, deinen Blick zu schulen, genau hinzuschauen und auf Entdeckungsreise durch die Gesichter deiner Mitmenschen zu gehen. Es dann auf das Papier oder die Leinwand zu bringen, braucht aber einige Grundlagen und vor allem viel Übung. Die Grundlagen möchte ich dir hier vermitteln.

Der Mund – Ausdruck des Gemüts

Im Mund drückt sich mehr als jedem anderen Teil die Stimmung und das Gemüt aus. Und es ist eine Herausforderung, den typischen Mund einer Person einzufangen, denn auf einem Foto gibt es nur eine Momentaufnahme und beim lebenden Modell hält er selten wirklich entspannt still.

 Ein und derselbe Mund kann nämlich ganz unterschiedliche „Gesichter“ haben. Je nach Gedanken, Worten, Stimmung kann ein Mund schön voll und entspannt sein, oder schmal, eng und klein. Beobachte einfach mal die Münder  deiner Mitmenschen und schaue, ob du einen typischen Mundausdruck findest.
Mund malen 3

Mund Beispiel 1

Mund malen 2

Mund Beispiel 2

Mund malen 1

Mund Beispiel 3

Wie malt man nun den Mund, was hängt alles damit zusammen und wie bringt man das auf den Malgrund?

Philtrum,  Amorbogen und Nasolabialfalte – Kennst du diese Begriffe?

Beim „richtigen“ Portrait geht es anfangs nicht ohne Exaktheit. Wenn ich im Nachfolgenden beschreibe, worauf du achten solltest, werde ich Begriffe verwenden, die du womöglich noch nicht kennt. Oder hättest du gewusst, was das Philtrum ist?  Anstatt jetzt jeden Begriff einzeln zu erläutern, erkläre ich die Begriffe mit einer Zeichnung.

Mund Anatomie

Anatomie des Mundes – Begriffsklärung

Schritt für Schritt – darauf solltest du beim Zeichnen und Malen des Mundes achten

Wenn du den Mund nun malen oder zeichnen möchtest, schau, wie groß der Abstand zwischen Nase und Amorbogen ist. Es hilft, wenn du als erstes die Schatten des Philtrums malst.

Dann schau, in welchem Abstand die Lippenspalte verläuft und wie breit der Mund ist. Dafür ziehst du bei deinem Modell senkrechte Linien von den Mundwinkeln nach oben.  Wie dicht liegen sie an den Nasenflügeln, wo schneiden sie die Augen? Mach dir kleine Markierungen und zeichne die Lippenspalte, schau dir ihr Auf-und-Ab genau an, jeder Mund hat da seine Eigenheiten.

Dann die Ober- und Unterlippen. Wie ist der Amorbogen? Geschwungen oder flach? Mit Spitzen oder abgerundeten Höhen? Welche Form haben die Lippen? Wie ist der Abstand jeweils zur Lippenspalte, wie zur Nase?

So vermeidest du Anfängerfehler

Nun ist es beim Zeichnen und Malen des Mundes wichtig, dass du keine harten Linien malst. Die Lippenspalte zum Beispiel ist nicht durchgängig gut sichtbar. Manche Stellen scheinen mit der Oberlippe zu verschmelzen, während andere stellen sehr stark sichtbar sind. Betone nur das, was auch sichtbar ist.

Auch die Lippenränder haben keine klare Kannte. Wenn man ihn klar umrandet malt, ein häufiger Anfängerfehler, sieht die Person aus, als hätte sie Lippenstift aufgelegt.

Sehr selten sind die Lippen auch richtig rot. Schau sie dir mal genau an. Oft unterscheidet sich der Farbton nur sehr leicht von der Haut drum herum, wird sie mehr durch eine helle Linie die sie bei manchen umrandet hervorgehoben.

Male mehr die Flächen und Schatten, als die Linien.  So entsteht zum Beispiel die Lippenspalte oft auch, indem ein dunklerer Oberlippenschatten auf eine hellere Unterlippe stößt.

Genau so ist es auch bei der Nasolabialfalte. Sie mit einem durchgängig schwarzem Strich zu zeichnen macht schnell aus einem Kind einen Greis. Oft ist da nur ein Schatten neben den Nasenflügeln und ein Fältchen neben den Mundwinkeln. Immer wieder: schaue ganz genau hin!

Sehr wichtig sind für einen Ausdruck auch die Schatten um die Mundwinkel herum und die Kinnstrukturen.

Zähne zeigen – Am Anfang besser nicht!

Mund malen - Stephanie Bahrke

Mundbeispiel 1 – gemalt

Auf die Zähne werde ich hier nur kurz eingehen. Ich bevorzuge Fotos, die keine weit lachenden Schnappschüsse sind, da ein gemaltes Bild immer mehr ist als nur ein Moment. Die Zähne sind genau so individuell wie der Rest des Gesichts und es ist sehr wichtig, dass Du –wenn- du sie malen möchtest, alles stimmt. Wo ist die Mitte? Wie breit ist jeder einzelne Zahn, wie groß die Lücken. Welche Farbe haben sie? Selten sind sie strahlend weiß. Wenn es geht, suche dir für den Anfang Vorlagen mit geschlossenen Mündern und warte mit den Zähnen, bis du deinen Blick und deine Hände geschult hast. Das erspart dir viele komisch grinsende Gesichter;-).

Ein Gesicht ist ein komplexes Ganzes, das es Stück für Stück zu entdecken und erforschen gilt.

Viel Freude beim Zeichnen und Malen!

Der Herausforderung „Nase“ stellen wir uns beim nächsten Mal.

Stephanie


Stephanie BahrkeSeit 2005 betreibt Stephanie Bahrke das Atelier unter der Linde für Portraitmalerei, ein lichtes Ladenatelier in Hamburg-Winterhude. Der Mensch stand schon immer im Mittelpunkt ihrer Kunst. Neben dem Malen von Auftragsportraits arbeitet sie interdisziplinär mit Künstlern anderer Genre zusammen und unterrichtet seit einigen Jahren Portraitmalerei.

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