Transfer… WAS?!
2014 kam es zu einer folgenreichen Begegnung mit Birgit Strohscher. Sie hatte soeben die FKAHH gegründet, die Freie Kunstakademie Hamburg. Ich war seit einem Jahr Dozent für manuelle Drucktechniken und Farbe & Form an der Kunstschule Wandsbek. Dort trafen wir uns beim Tag der offenen Tür, kamen ins Gespräch und waren uns auf Anhieb sympathisch. Als sie fragte, ob ich mir vorstellen könne, an ihrer Akademie Transferlithografie zu unterrichten, dachte ich: „Transfer… WAS?!“ Hatte ich noch nie gehört. Da es sich dabei um keinen offiziellen oder geschützten Begriff handelt und die Technik außerdem bei uns in Deutschland noch wenig bekannt ist, war das auch nicht weiter verwunderlich. In den USA, wo sogenanntes non-toxic printmaking sich bereits früher entwickelt hat und daher verbreiteter ist, sind Begriffe wie paper lithography, paper plate litho, xerox lithography oder gum arabic transfer sehr viel gängiger.
Papier und Polyester statt Stein und Metall“
Die englischen Bezeichnungen enthalten bereits Hinweise auf die Besonderheiten dieser nicht toxischen, also umweltfreundlichen Drucktechnik. Den Ausgangspunkt bilden schwarz-weiße Laserdrucke auf Papier, im fortgeschrittenen Stadium auch auf spezieller Polyesterfolie. Du kannst dabei eigene Zeichnungen, Fotos, (typo-) grafische Elemente u. v. a. m. verwenden. Hauptsache, die Vorlagen enthalten wenig Graustufen, sind also möglichst kontrastreich. Wie beim Siebdruck kannst du deine Abbildungen auch rastern. Papiervorlagen werden vor dem Drucken mit Gummi Arabikum behandelt
Lithografien druckt man traditionell von extrem harten, bleischweren Kalkschiefersteinen aus Solnhofen. Der Offsetdruck, deren Weiterentwicklung, erfordert Metallplatten. Außerdem kommen Salpetersäure und andere Chemikalien zum Einsatz. All das entfällt bei der Transferlithografie, und du brauchst auch nicht unbedingt eine Druckpresse; eine Gummi-Andrückwalze aus dem Baumarkt tut es ebenso. Das macht die Transferlithografie zu einer sehr niedrigschwelligen, kostengünstigen, vielseitig und flexibel einsetzbaren Drucktechnik „für den Hausgebrauch“.
Viele meiner Transferlithografien verarbeite ich zu Collagen.
Fingerspitzengefühl erforderlich – dann ist alles ganz einfach
Schwarzweiß fängt alles an. Beispiele, mit denen sich drucken lässt.
Hauptsache viel Kontrast.
Kurz zusammengefasst, passiert bei der Transferlithografie folgendes:
Mit Gummi-Arabikum-Lösung präparierte Laserkopien werden gewässert und dann mit Ölfarbe eingefärbt. Fett und Wasser stoßen sich ab. Daher haftet die Ölfarbe dort, wo auf dem Laserdruck Toner ist, denn an diesem perlt das Wasser ab. Dort, wo auf dem Papier (oder auf der Folie) offene und daher feuchte Stellen sind, wird beim Einfärben der Druckvorlage keine Ölfarbe angenommen. Diese Stellen bleiben beim Drucken weiß bzw. haben nur einen Plattenton. Der Toner übernimmt also bei dieser Technik die Rolle von Lithokreide oder Tusche im Steindruck.
Das Prinzip ist bei beiden Druckverfahren gleich. Du kannst übrigens auch zeichnerische Druckvorlagen herstellen, indem du mit Ölkreide direkt auf Papier zeichnest. In diesem Fall übernimmt die Ölkreide die Rolle des Toners. Gedruckt wird auf möglichst unstrukturiertes Papier. Es erfordert einige Übung und Fingerspitzengefühl, bis man zu befriedigenden Ergebnissen kommt. Es ist ein recht experimentelles Verfahren, dessen Ergebnisse sich nur bedingt kontrollieren lassen. Es entstehen Unikatdrucke. Man kann zwar keine Auflagen drucken, dafür aber nach Herzenslust und spontan experimentieren, kombinieren, reagieren. Nicht unbedingt etwas für Präzisionsfreaks also oder Leute, die ihre Vorstellungen und Vorlagen 1-zu-1 umgesetzt sehen möchten. Du solltest dich auf Überraschungen einlassen und unvorhergesehene Ergebnisse wertschätzen können.
Verflixt und angefixt
Nach meiner Zusage machte ich mich mit der neuen Drucktechnik vertraut. Doch verflixt und zugenäht: Ganz so einfach, wie ich es mir vorgestellt hatte, war es auch wieder nicht. Wie bei jeder neuen Technik muss man auch bei der Transferlithografie durchs Tal der Frustrationen. Es gibt etliche Faktoren, die die Druckergebnisse beeinflussen: von der Qualität der Laserdruckvorlagen über Farbe und Papier, die man verwendet bis hin zum Verhältnis von Ölfarbe und Wasser. Trotzdem war mir sofort klar, dass ich es mit einem besonderen Verfahren zu tun hatte. Es dauerte nicht lange, und ich war richtig angefixt. Inzwischen setze ich die Transferlithografie vielseitig ein, vor allem in Collagen, was ihrem Charakter sehr entspricht. Zur Zeit arbeite ich an Porträts von Berühmtheiten nach Fotos. Transferlithografisch umgesetzt, erhalten diese eine ganz besondere Ausstrahlung. Manch eine*r wendet die in meinen Kursen erworbenen Skills an, um zum Beispiel stimmungsvolle Landschaftsfotos zu drucken und diese an Touristen aus der Region zu verkaufen. Um Drucke von Gemälden anzufertigen oder gedruckte Elemente in die Malerei zu integrieren. Oder auch schlicht zur Herstellung eigenständiger Druckgrafiken.
Du kannst verschiedenste Vorlagen verwenden, gedruckt wird mit der Hand
Peter Hinrichs wurde 1965 in Hamburg geboren. Seine künstlerische Ausbildung erhielt er am Central Saint Martins College of Art and Design in London und an der Winchester School of Art in Barcelona in den Bereichen Druckgrafik, Zeichnen und Malerei. Einen Großteil seines bisherigen Lebens hat er im europäischen Ausland verbracht. Zuletzt von 1995 bis 2013 in Amsterdam.
Als freiberuflicher Dozent für manuelle Drucktechniken und Farbe & Form hat er, nach langer Schaffenspause, in den letzten Jahren zurück zur Kunst gefunden. Sein großes Thema ist dabei die Gedankenfreiheit, verwurzelt in der Antike und verankert in der UN-Menschenrechtscharta. Als deren Bühne dienen ihm abstrahierende Darstellungen menschlicher Köpfe, wie sie bereits seit knapp 30 Jahren immer wieder in seinen Arbeiten auftauchen. Auch setzt er sich künstlerisch mit Themen wie Zwischenmenschlichkeit, Sinneswahrnehmung und Verlust auseinander. Seine Ideen finden ihren Ausdruck vor allem in Druckgrafiken sowie in Zeichnungen und Collagen.
Zu den Kursen mit Peter Hinrichs an der Freien Kunstakademie Hamburg