Entjungferung der weißen Seiten – ein Praxistipp für Maler und Zeichner
Juni 2017
Ein Blatt: Weiß.
Hoch oder quer, leer.… darauf soll das neue Bild entstehen. Aber wie? Und nun?
Kennst du das auch? Dieser Respekt vor dem leeren Blatt und dem ersten Strich. Man könnte alles verderben, unwiederbringlich die Leere GANZ FALSCH angehen. So erstickt schon mal der eine oder andere Impuls. Das ist doch zu schade!
Da hilft ein kleiner Trick, den ich gern verrate: die „Entjungferung der leeren Seiten“. Bevor es „richtig“ losgeht mit dem Malprozess, macht man sich erst mal ein bisschen locker. Und die Maloberfläche auch. Eine Vorbereitung und Eröffnung einer Mal- oder Zeichensession.
Mit großer Geste gibt man einen leichten Farbklang aufs Blatt. Oder ein Muster, das als Fläche auf dem Papier liegt. Darüber kann im nächsten Schritt gemalt werden und der Hintergrund kann sichtbar bleiben oder auch übermalt werden. Er hat ja seinen Zweck erfüllt. Bei einer Zeichnung bleibt der Hintergrund, den man angelegt hat, meist sichtbar. Da gehört die Farbwahl schon mit zum Motiv.
Doch jetzt erst mal ganz praktisch
Für den Anfang empfiehlt es sich, eine helle Farbe zu nehmen, um zu erproben, wie man mit dieser Technik des Bildbeginns zurechtkommt. Später, wenn man weiß, wie der Hase läuft, kann man auch in einer Kontrastfarbe eine erste Geste anlegen oder auch schon daran denken, dass die erste Farbe ggf. ein Hintergrund für ein feines Mal- oder Zeichenmotiv sein wird.
Wie man sieht, eignen sich viele Techniken, auch die Monotypie ist wunderbar.
Tipp: In einer Drucksession Monotypie kann man sich viele Seiten vorbereiten, die dann nach Bedarf zum Einsatz kommen.
Beispiel Blumenstilleben
Aber auch eine leichte Aquarell-Lasur wirkt Wunder, um einem Blumenbild eine Basis zu geben.
Ist der Strauss erstmal mit Details gemalt und auf dem Papier oder der Leinwand, ist es schwer, in die kleinen Zwischenräume noch einen geschmeidigen Hintergrund zu setzen. Diese Zwischenräume bleiben wie helle Löcher stehen. Hat man gleich zu Anfang eine helle Basis gelegt für das Blumenmotiv, gibt das Orientierung auf dem Blatt, erleichtert den Einstieg ins Malen und man hat hinterher noch ein geschlosseneres Ergebnis beim fertigen Bild.
Formatfrage
Hier noch ein Beispiel, wie sich eine Zeichnung entwickeln kann, wenn erst mal was auf dem Blatt ist. Mit großer Geste habe ich etwas Olivgrün und Blau aufs Blatt gegeben. Dann fiel die Entscheidung, es hochformatig zu verwenden. Hätte ich es quer genommen, wäre die Geste eine andere gewesen und die Farbe hätte etwas anderes vermittelt, mir einen anderen Weg vorgegeben. Es ist also eine bewusste Entscheidung. Bei dieser Zeichnung, habe ich begonnen (noch kann viel passieren auf dem Blatt) die Linie im freien Raum oben an zu setzen. Die Farbfläche wirkt als „Erdung“ .
Mehr zum Thema Format und Bildaufteilung in meinem Buch: „Faszination Komposition“, das im Peter Lang Verlag erschienen ist.
Bei dem fertigen Bild unten, das die Technik der „Entjungferung der Seiten“ deutlich noch zeigt. Unter allem liegen 3 hellblaue Streifen. Sie fallen nicht sofort ins Auge, denn das Motiv der collagierten Zeichnung mit dem Segelboot und der Brücke steht davor. Und doch sind sie wirkungsvoll für den Gesamtklang des Bildes.
Wer mehr über diese Technik und noch viele andere Tipps und Kniffe erfahren will, kann das in meinem Angebot in Köln, im Rosa Haus mit den Grünen Fensterläden tun.
Karen Betty Tobias ist bildende Künstlerin, Kunsttherapeutin, Heilpraktikerin Psychotherapie und Dozentin aus Köln, wo sie das „Atelier im Rosa Haus mit den Grünen Fensterläden“ führt. Sie liebt es, Kunst zu machen, sich kreativ auszudrücken und in Bewegung zu sein. Ihre künstlerische Ausbildung umfasst ein weites Spektrum vom Textilen bis zu Bildhauerei, von Keramik bis zur Zeichnung. Seit nun fast 3 Jahrzehnten gibt sie ihre Erfahrung und Begeisterung für die Sache an ihre Schüler und Studenten weiter und eröffne ihnen Räume für Entfaltung.
2014 erschien in Zusammenarbeit mit Beatrice Cron im Peter Lang Verlag ihr Buch „Faszination Komposition“